Zusätzliche Quelle

Biografie Lev Vinocour

Das 2009 in Berlin erschienene Handbuch "Die großen Pianisten der Gegenwart" zählt Lev Vinocour zu den Vertretern der imaginären Gelehrtenrepublik und bestätigt somit das zuvor geäußerte Urteil, dieser Künstler gehöre zur "raren Spezies der intellektuellen Virtuosen" (BR). Was zunächst als Paradox anmuten kann, bezeichnet in Wirklichkeit die glückliche Verbindung von profundem Wissen mit souveräner virtuoser Freiheit und interpretatorischer Tiefe, welche dem Pianisten immer wieder Kritikerlob wie "Begnadeter Pianist mit hinreißendem Spiel" (Münstersche Zeitung), "L‘ensemble brille de talent et d‘intelligence" (Le Monde de la Musique) oder schlicht "Märchenhaft" (Fono Forum) beschert. Was Lev Vinocour auszeichnet, ist seine "geradezu philosophische Neugier, hinter dem Notenbild den eigentlichen, tieferen Sinn der Musik ausfindig zu machen und in plausible Klangrede zu verwandeln", wie ein Rezensent in "Stereoplay" formulierte. Eben diese Qualitäten erlauben es dem Künstler, mit seinen Programmen fernab ausgetretener Pfade Sinne, Herzen und Gedanken der Zuhörer zu überzeugen und mitzureißen.

Im Jahre 2003 war es seine als "bedeutende editorische Tat" bezeichnete und mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnete Einspielung des gesamten Etüdenwerks von Robert Schumann, welche die Kompositionen dieses großen deutschen Romantikers aus einer bis dahin ungeahnten Perspektive betrachtete. 2005 erstaunte Vinocour die Zuhörer mit seinem Liszt-Zyklus in Weimar, wo er in vierzehn aufeinander folgenden Wochen ebenso viele Solo-Programme mit Werken des genialen Komponisten und Klaviervirtuosen spielte. Die Kritik bescheinigte diesem Projekt „geradezu spektakuläre Züge“ und sprach von einer bis dahin schier unvorstellbaren Leistung. 2007 gelang Lev Vinocour eine weitere musikalische Sensation, als er das seit langem bekannte, aber unvollendet gebliebene Jugend-Klavierkonzert F-Dur von Robert Schumann in seiner Rekonstruktion und Instrumentierung uraufführte.

Zum 200. Jubiläum Robert Schumanns erschien 2010 bei Sony/RCA Red Seal eine enzyklopädische Aufnahme des Gesamtwerks für Klavier und Orchester dieses Komponisten, welche neben den drei bekannten noch sieben (!) weitere Kompositionen enthält, fünf davon als Ersteinspielungen. Begleitet wird Lev Vinocour bei diesem ungewöhnlichen Repertoire vom hochkarätigen Wiener Radio Symphonie Orchester unter der Leitung von Johannes Wildner. Die Erstauflage dieser 3-CD-Box war trotz oder gerade wegen des höchst anspruchsvollen Repertoires in kurzer Zeit vergriffen.

Werke russischer Komponisten bilden einen besonderen Arbeitsschwerpunkt des Pianisten. Zu seinem langjährigen Einsatz für das Schaffen Peter Tschaikowskys gehören neben zwei SACD-Alben (2006, MDG und 2008, Sony/RCA Red Seal), zahlreichen Auftritten mit Solo-Werken, Kammermusik und Klavierkonzerten ("Ein wegweisendes Tschaikowsky-Spiel", WAZ) auch Vinocours Mitarbeit an der Herausgabe von Tschaikowskys Klavierwerken im Rahmen der Neuen Gesamtausgabe beim Verlag Schott, Mainz, und verschiedene musikwissenschaftliche Veröffentlichungen. Auch Sergej Prokofiev zählt Lev Vinocour zu seinen Lieblingskomponisten. Seine 1999 erschienene Gesamtaufnahme der Klaviertranskriptionen dieses großen russischen Tonschöpfers wurde zur Referenzeinspielung. Sobald die Erstauflage ausverkauft war, erschien die 2-CD-Box erneut, und zwar gesondert für den europäischen Markt und für die USA.

2011 stellte sich Lev Vinocour einer weiteren Herausforderung seiner künstlerischen Laufbahn. Im Fernsehfilm "Franz Liszt. Die späten Jahre" (ZDF/ORF) übernahm er die Protagonisten-Rolle unter der Regie des herausragenden Dokumentarfilmers Günther Klein. Auf diesen Erstling folgte im April 2012 ein biographisches Portrait im Rahmen der Reihe "Berg und Geist" vom Schweizer Filmkünstler Beat Kuert. Ab Oktober 2012 strahlt der internationale Sender 3sat wöchentlich die eigens für Lev Vinocour geschaffene Reihe "Sonate für zwei" aus. Zusammen mit der Moderatorin Nina Brunner folgt der Pianist den Spuren großer Komponisten und befördert dabei viele ernste, aber auch amüsante Details ans Licht.

Sein zukünftiger Beruf und seine Berufung wurden Lev Vinocour sozusagen in die Wiege gelegt. Als Spross einer traditionsbewussten St. Petersburger Künstlerfamilie erhielt er die in Russland typische anspruchsvolle Musikerausbildung. Mit sechs Jahren wurde der angehende Pianist in die Klavierklasse von Valentina Kunde an der Hochbegabtenschule des St. Petersburger Konservatoriums aufgenommen und trat bereits anderthalb Jahre später in großen öffentlichen Konzerten auf. Mit neun Jahren vertrat er St. Petersburg (damals noch Leningrad) beim Festival junger Musiker der UdSSR in Baku, mit dreizehn Jahren debütierte er als Solist im 2. Klavierkonzert von Dmitri Schostakowitsch mit dem Orchester des legendären Dirigenten Jewgeny Mrawinsky, den Leningrader (heute St. Petersburger) Philharmonikern, und als Sechzehnjähriger spielte er zum ersten Mal im Ausland (Beethovens 2. Klavierkonzert sowie Solo-Programme in Halle an der Saale, Leipzig, Weimar und Magdeburg). Im März 1988 wurde der junge Pianist beim letzten Klavierwettbewerb der UdSSR in Tiflis mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.

Nachdem Lev Vinocour die St. Petersburger Schule als Pianist und Dirigent mit Auszeichnung absolviert hatte, setzte er seine Ausbildung in Moskau am Tschaikowsky-Konservatorium in der Klasse von Prof. Lev Vlassenko fort. Schon bald errang er weitere Wettbewerbserfolge. So gewann der junge Musiker 1993 bei gleich zwei internationalen Wettbewerben erste Preise: im März beim Concours International de Piano in Epinal, Frankreich, und im September beim Concorso Internazionale „Mavi Marcoz“ in Aosta, Italien. Während seines Studiums in Moskau entwickelte sich Lev Vinocours Liebe zur Kammermusik und zur Musikwissenschaft. Die in der Klasse von Prof. Tatjana Gajdamowitsch erlernte hohe Kunst des Ensemble-Spiels ermöglicht es dem Pianisten heute, jederzeit z.B. das gesamte Repertoire für Violoncello und Klavier oder für Klavierquintett aufzuführen. Die durch Prof. Alexej Kandinsky, einen Neffen des berühmten Malers, vermittelten musikwissenschaftlichen Forschungsmethoden dienen Lev Vinocour als solide Grundlage seiner nunmehr auf Deutsch, Englisch, Italienisch und nach wie vor auch selbstverständlich auf Russisch publizierten Schumann-, Liszt- und Tschaikowsky-Arbeiten.

Ein beträchtlicher Geldpreis, gewonnen 1993 beim bereits erwähnten "Mavi Marcoz"-Wettbewerb, ermöglichte es dem jungen Künstler, nach seinem glänzenden Studienabschluss in Moskau westlich des sich damals gerade öffnenden Eisernen Vorhangs zu bleiben. Er ging nach Großbritannien und erwarb das Postgraduate (Master) Diploma in Advanced Studies der Victoria University in Manchester. Auf die Empfehlung seines damaligen Mentors, Arnaldo Cohen, nahm Lev Vinocour 1994 am 1. Internationalen Concours "Clara Schumann" in Düsseldorf teil und gewann den zweiten Preis. Dies sollte sein weiteres Leben entscheidend prägen, nicht nur, weil es seinen Umzug in die rheinische Stadt mit sich brachte. Seit Mitte der 90er Jahre nahmen Zahl und Bedeutung seiner Auftritte in der ganzen Welt zu; sie sind, ebenso wie seine CD-Einspielungen, allmählich zu einem festen Bestandteil des internationalen Musiklebens geworden.

Während des Wettbewerbs in Düsseldorf zog Vinocour mit seinem Talent die besondere Aufmerksamkeit eines Jury-Mitglieds, des großen Pianisten Alexis Weissenberg, auf sich. Von 1994 an nahm Vinocour an den jährlichen Meisterkursen des Maestros im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student, später als Assistent. Auf Empfehlung Weissenbergs wurde er 1996 in die „Fondazione Internazionale per il Pianoforte“ am Comer See aufgenommen und lernte in dieser ehrwürdigen Institution weitere Größen seines Fachs wie Murray Perahia, Charles Rosen und Karl-Ulrich Schnabel kennen. Letzterer wurde zu einer zentralen Figur im künstlerischen Werdegang Lev Vinocours. Bei all seiner Vielseitigkeit und der Breite seines Repertoires war der junge Pianist bis dahin weitgehend der russischen Tradition verpflichtet, durch diese aber auch begrenzt. Die Zusammenarbeit mit Karl-Ulrich Schnabel bedeutete einen Aufbruch in neue Musikwelten: die der deutschen Romantik und, noch wichtiger, der Wiener Klassik, wie diese durch ihre profiliertesten Vertreter, die Schnabel-Dynastie, vermittelt wurden. Es überrascht nicht, daß sich schon bald erste Erfolge und Anerkennung einstellten. Im Januar 1999 rühmte die „Süddeutsche Zeitung“ die „luzide Klarheit“ von Vinocours Aufführung des 1. Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven und verglich seine Darbietung einzig mit dem genialen Spiel des jungen Friedrich Gulda. Im Jahr darauf wurde Lev Vinocour auf einer Südamerika- und Mexiko-Tournee mit dem Kölner Rundfunk Sinfonie Orchester unter der Leitung von Semyon Bychkov für seine Interpretation des 3. Klavierkonzerts von Beethoven vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen und mit hohem Lob bedacht.

Mit diesem Kölner Orchester, aber auch mit vielen anderen Klangkörpern wie zum Beispiel dem Orchester der Tschechischen Philharmonie, Prag, und seinem vormaligen Chefdirigenten Eliahu Inbal, Islands National Symphonie Orchester, dem Radio Symphonie Orchester Wien oder auch dem Moskauer Tschaikowsky-Orchester und seinem Patriarchen Wladimir Fedossejew, um nur einige zu nennen, verbinden Lev Vinocour nicht nur gemeinsame künstlerische Interessen, sondern auch persönliche Freundschaft. Auf dem Gebiet der Kammermusik ist der Pianist ebenfalls tätig. Jahrelang war er Klavier-Partner des weltberühmten Tokyo String Quartet. Ihre stets umjubelten gemeinsamen Auftritte wurden zuletzt vom Bonner „General-Anzeiger“ als „kammermusikalische Lehr- und Stern-Stunden“ bezeichnet.

Nur wenige Künstler verfügen über eine solche Mischung außergewöhnlicher Eigenschaften und eine solche Vielseitigkeit wie Lev Vinocour: eine einnehmende, geistig flexible Persönlichkeit, breitgefächerte Kenntnisse, Esprit und Intuition sowie atemberaubende Technik-Eigenschaften, die gleichermaßen Publikum wie Kritiker von Island bis zum Kap der Guten Hoffnung für diesen Ausnahmekünstler einnehmen.

(Stand: Sommer 2012)

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